Nächtliche Discobesuche bleiben bei der Wiener FPÖ weiterhin Chefsache. Tagsüber arbeitet Heinz-Christian Strache daran, neue Themen abseits der Zuwanderungsdebatte zu finden.

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Wien - Der blaue Parteichef möchte bei der Wien-Wahl alles richtig machen. Nach der Wiedervereinigung mit der Kärntner Haider-Truppe soll Heinz-Christian Straches Heimatstadt schließlich zum "zweiten freiheitlichen Kernland" werden. Das wird sich am 10. Oktober zwar nicht ausgehen, ein fetter Stimmenzuwachs ist laut Umfragen aber drinnen.

Vorausgesetzt, der Parteichef schart die richtigen Leute um sich. Das schlechte Abschneiden von Barbara Rosenkranz bei der Bundespräsidentenwahl hat Strache zu denken gegeben. Die blaue Kandidatin war selbst vielen FP-Sympathisanten zu rechts. Für ein Ergebnis jenseits der 25-Prozent-Marke bleiben den Wienern diesmal Muezzin-Pummerin-Reime erspart. In der aktuellen Kampagne geht es um Schlagworte wie Gerechtigkeit, Respekt und Zukunft.

Die FPÖ bemüht sich nicht mehr nur um Protestwähler im Gemeindebau, man will auch die Mitte gewinnen - oder zumindest einen Teil davon. Die Unternehmerin Barbara Kappel soll jene Wähler ansprechen, die mit ausländerfeindlichen Tönen wenig anfangen und trotzdem das Gefühl haben, zu kurz zu kommen.

Fünf Monate vor der Wahl zaubert Strache eine neue, völlig unbekannte Wahlhelferin aus dem Hut. Die ehemalige Büroleiterin von Thomas Prinzhorn soll demnächst von der Wiener Landespartei als neue Nummer zwei abgesegnet werden. Die 45-Jährige ist bei der Wirtschaftskammer-Wahl mit der freiheitlichen Splittertruppe "FPÖ pro Mittelstand" angetreten und bisher nicht mit deutschnationalen Tönen aufgefallen. Die Chefin einer vorwiegend in Osteuropa tätigen Beraterfirma sieht sich als Netzwerkerin mit Wirtschafts- und Finanzkompetenz, die sich im Wiener Wirtschaftsparlament auch mit den Grünen auf ein Packel haut, wenn es ihrer Sache dienlich ist. Als blaue Rädelsführerin bei einer Demo gegen ein islamisches Kulturzentrum ist die promovierte Wirtschaftswissenschafterin jedenfalls nicht vorstellbar. Ist die Strache-FPÖ in der Mitte angekommen?

Angst vor dem Abstieg

"Die Mittelschicht sind die, die glauben, sie haben noch einen Weg nach oben vor sich, und sich gleichzeitig davor fürchten, etwas zu verlieren", sagt der Soziologe Harald Katzmair. Diese Furcht sei mit der Wirtschaftskrise noch größer geworden. Gut die Hälfte der Wiener könne man dieser Bevölkerungruppe zuordnen.

Dass sich die Marke Strache von "rechts und proletarisch" so kurz vor der Wahl noch auf ein breiteres, bürgerlicheres Segment ausbauen lässt, glaubt Katzmair nicht. "Da gibt's andere Angebote." Der Mittelschicht nimmt sich nämlich auch die SPÖ im Kampf um den Erhalt der Absoluten besonders an. Bereits die Einführung des Gratiskindergartens im Vorjahr bezeichnete Michael Häupl als "größte Mittelstandsförderung". Nachsatz: "Wir wollen klotzen und nicht kleckern". Nicht gekleckert wird auch bei den Gemeindewohnungen. Mit einer massiven Anhebung der Einkommensgrenze für Gemeinde- und geförderte Mietwohnungen buhlt die rote Stadtregierung um die Besserverdiener.

"Es gibt keine eindeutige wissenschaftliche Definition für Mittelschicht", sagt Christina Mayrhuber vom Wifo. Das monatliche Haushaltseinkommen liegt derzeit im Durchschnitt bei 2150 Euro pro Kopf. Zählt man die Niedrigst- und Bestverdiener weg, gehören rund 70 Prozent der Österreicher zur Mittelschicht. Ihr zugehörig fühlt sich aber praktisch jeder, laut Umfragen gut 90 Prozent der Bevölkerung. Mit Wahlversprechen für die Mittelschicht kann man also nichts falsch machen - aber einiges gewinnen.

"Die Hauptkampflinie zwischen SPÖ und Freiheitlichen verläuft vor allem in der unteren Mittelschicht", konstatiert der Politikexperte Thomas Hofer. Strache dürfte eingesehen haben, dass er dieses Wählersegment nicht mehr als One-Man-Show abdecken kann, Barbara Kappel sei ein Signal an diese Wähler. Allerdings könne Straches Strategie, seine Partei personell breiter aufzustellen, ein paar Monate vor der Wahl nicht aufgehen, so Hofer.

Wer in der Mittelschicht punkten will, müsse vor allem die Nichtwähler mobilisieren, sagt der Politologe Peter Filzmaier. Die FPÖ habe bei den Protestwählern bereits die Stimmenmaximierung erreicht. Bei den Nichtwählern sei für beide Parteien jedenfalls mehr zu holen als bei den Wechselwählern. Die regierende SPÖ müsse allerdings aufpassen, dass ihre Mittelschicht-Klientel nicht zu Nichtwählern werde. (Bettina Fernsebner-Kokert und Martina Stemmer, DER STANDARD, Printausgabe, 22.5.2010)