Mobility Observation Box
Die Mobility-Observation-Box hat ein waches Auge auf den Straßenverkehr. Die gesammelten Daten sollen dazu dienen, Gefahrensituationen und Unfälle zu vermeiden.
AIT / Johannes Zinner

Einen Designpreis wird die Mobility-Observation-Box (MOB) wohl eher nicht gewinnen. Das etwa schuhschachtelgroße, schmucklose Gehäuse ist völlig unauffällig, lässt keinerlei ästhetische Ambition erkennen. Doch das ist auch gar nicht beabsichtigt. Denn die MOB ist ein Gerät, das Videoaufnahmen im Straßenverkehr macht. Montiert wird sie idealerweise in etwa sechs bis acht Metern Höhe. Ein optischer Hingucker könnte dabei kontraproduktiv sein, erklärt Peter Saleh, Senior Research am Austrian Institute of Technology (AIT), das die MOB entwickelt hat. "Durch die Bauart gelingt es uns, natürliches Verkehrsverhalten zu erfassen. Ein großes, auffälliges Gerät könnte die Fahrweisen der Verkehrsteilnehmer unbewusst beeinflussen", sagt Saleh.

Aufgabe der MOB ist es, mittels einer Videokamera den Verkehr an bestimmten Punkten aufzunehmen. Später können in den Videodaten automatisiert potenzielle Gefahrensituationen identifiziert werden. Der integrierte Akku reicht für eine Woche kontinuierliche Aufnahme. Danach wird die Box abgenommen und am AIT ausgewertet. Dazu werden von der Software zuerst alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer erfasst und in verschiedene Gruppen eingeteilt – Fußgängerinnen, Autofahrer, Radfahrerinnen und so weiter. Die Bewegung jedes individuellen Verkehrsteilnehmers wird mittels einer Bewegungslinie getrackt. Aus diesen Daten können dann Risiken errechnet werden. Kommen sich etwa die Linien einer Fußgängerin und eines Radfahrers sehr nahe, könnte das bereits ein Hinweis auf eine Gefahrensituation sein.

Aus Beinahe-Unfällen lernen

"Wir werten auch Beinahe-Unfälle aus, weil diese wesentlich häufiger auftreten als tatsächliche Unfälle", sagt Saleh. Ein dafür oft genutzter Kennwert ist die "Time to Collision". Sie gibt für einen bestimmten Zeitpunkt an, wie lange es dauern würde, bis es zwischen zwei oder mehreren Verkehrsteilnehmenden zum Unfall käme, würden sie ihr momentanes Verhalten – Geschwindigkeit und Fahrtrichtung – unverändert lassen. Die "Post Encroachment Time" wiederum gibt an, wie viel Zeit vergeht, bevor ein Verkehrsteilnehmer die Bewegungslinie eines anderen berührt, nachdem dieser diese Linie bereits verlassen hat. Zusätzlich kann die Software Unfälle beziehungsweise Beinahe-Unfälle zählen und das individuelle Brems- und Beschleunigungsverhalten auswerten.

Es lassen sich auch einzelne Gruppen von Verkehrsteilnehmern und Verkehrsteilnehmerinnen und speziell deren Verhalten untersuchen. So kann man zum Beispiel erheben, ob E-Scooter an einem bestimmten Straßenabschnitt häufiger in Konfliktsituationen geraten als Radfahrer. Nach Abschluss der Analysen gibt das System automatisiert eine Risikobewertung aus. Auf Wunsch bieten die Forschenden des AIT auch eine persönliche Beratung an.

Zum Einsatz kommt die Box typischerweise an neuralgischen Verkehrspunkten, an denen es an Erfahrungswissen über die komplexe Dynamik des lokalen Verkehrs mangelt. Oder an denen solches Wissen mittels standardisierter Messungen auf ein solides theoretisches Fundament gestellt werden soll. Ein weiteres Anwendungsszenario stellen bauliche Veränderungen dar: Ein Betreiber von Straßeninfrastruktur kann mithilfe der MOB beispielsweise herausfinden, ob sich die Niveauanhebung eines Schutzwegs, eine neue Lichtanlage, eine Verengung der Fahrbahn oder ein neuer Radweg unter dem Aspekt der Verkehrssicherheit bewähren.

Keine Daten bei Diebstahl

Ein Vorteil der MOB ist ihre niederschwellige Einsetzbarkeit. Man muss lediglich die erforderliche Bildschärfe einstellen und die Box dann am gewünschten Einsatzort festschrauben. Ein Anschluss an die Stromversorgung ist wegen der integrierten Batterie nicht nötig. Aufgrund dieser unkomplizierten Einsetzbarkeit eignet sich die MOB auch dafür, Straßenszenarien an verschiedenen Orten zu analysieren und die Ergebnisse später objektiv miteinander zu vergleichen.

Relativ unauffällig zeichnet die Mobility-Observation-Box Daten auf. Bisher sind rund 50 ihrer Art im Einsatz – zumeist im Rahmen von Forschungsprojekten zur Verkehrssicherheit.
AIT / Johannes Zinner

Aktuell sind rund 50 Exemplare der MOB in Betrieb. Meistens in europäischen Forschungsprojekten zur Verkehrssicherheit, zu einem geringeren Anteil auch bei kommunalen Infrastrukturbetreibern. Wesentlich für die Nutzung im öffentlichen Raum ist eine behördliche Zulassung gemäß den Vorgaben des Datenschutzes. Die Videodaten werden deshalb sofort nach der Aufnahme noch im Gerät verschlüsselt. Sollte die Box gestohlen werden, könnten Kriminelle somit keine personenbezogenen Daten herausholen.

Sobald die Aufnahmen zur automatisierten Analyse beim AIT eingelangt sind, werden mittels Algorithmen des maschinellen Lernens Autokennzeichen, Modelllogos und Gesichter verpixelt. Normalerweise bekommt kein Mensch die Videoaufnahmen zu Gesicht, das System arbeitet völlig geschlossen und automatisiert. In Ausnahmefällen kann es jedoch erforderlich sein, einzelne Videoausschnitte manuell zu sichten. "Es gibt die Möglichkeit, Einzelsequenzen der Konflikte anzusehen", sagt Saleh. "Wir können dann zum Beispiel die zehn schlimmsten Fälle zeigen und mit dem Kunden Maßnahmen besprechen."

In diesem Fall werden über die sonstige Anonymisierung hinausgehend die Videos außerdem in ein Schwarz-Weiß-Format umgewandelt, damit keinerlei Rückschlüsse auf reale Personen aufgrund von Farbinformationen möglich sind. Einen Preis hat die MOB übrigens doch schon gewonnen: Unlängst wurde sie mit dem renommierten "Excellence in Road Safety Award" des European Road Safety Charter (ERSC) der Europäischen Kommission in der Kategorie "Daten" ausgezeichnet. (Raimund Lang, 7.5.2024)