Am Wochenende vom 12. und 13. April lud die Vereinigung Österreichischer Strafverteidiger:innen (VÖStV) zum jährlichen Treffen nach Graz. Eine beachtliche Zahl von mehr als 160 Strafverteidiger:innen aus ganz Österreich folgten der Einladung zur Diskussion über das alltagsprägende Thema Suchtmittelstrafrecht. Die Diskussionen erwiesen sich als lebhaft und hitzig, insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten gesetzlichen Cannabis-Liberalisierung in Deutschland. In einem weiterer Diskussionspunkt ging es um die Frage der Verwertung von Beweisen aus Kryptohandys.

Liberalisierung in Deutschland in der Kritik

Mit 1. April diesen Jahres wurde in Deutschland der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis und der Anbau in bestimmten Grenzen legalisiert. Der Konsum war ohnehin schon straffrei – allerdings gibt es ohne Besitz keinen Konsum. Mit den Worten des deutschen Strafverteidigers und Rechtswissenschafters Jan Bockemühl: "Der Joint kommt ja nicht in den Mund geflogen." Weitere eher amüsante Randnotiz: Das große "Ankiffen" am 1. April am Brandenburger Tor hätte strafrechtlich relevant sein können. Schließlich bleibt der Erwerb von illegal angebautem Cannabis verboten und zu diesem Zeitpunkt konnte noch kein legales Cannabis angebaut und in Umlauf gebracht worden sein. Darüber wurde aber verständlicherweise hinweggesehen.

Brandenburger Tor
Die Cannabis-Liberalisierung in Deutschland wurde am 1. April vor dem Brandenburger Tor gefeiert.
IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Die starke Kritik an der Liberalisierung unter österreichischen Juristen beruht auf neurologischen Erkenntnissen. Es kann bis zum 25. Lebensjahr dauern, bis das menschliche Gehirn voll entwickelt ist. In diesem Zeitraum kann Cannabis-Konsum zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Zudem treten laut Therapieorganisationen immer häufiger Psychosen aufgrund von giftigen Beimengungen, Verunreinigungen sowie synthetischen Cannabinoiden auf. Der Konsens unter den Juristen war, dass – wenn überhaupt – eine Freigabe mit 21 Jahren deutlich sinnvoller gewesen wäre.

Deutlich lebhafter wurde die Diskussion zur Zielsetzung der Liberalisierung. Durch die Entkriminalisierung des Anbaus und des Besitzes sollte die Nachfrage am Schwarzmarkt an Attraktivität verlieren. Hier zeigte sich durchaus ein Spalt in den rechtlichen aber auch (gesellschafts-)politischen Ansichten der anwesenden Strafverteidiger:innen. Auf der einen Seite wurde eine Liberalisierung strikt abgelehnt, weil Cannabis eine Einstiegsdroge sei und die Umsetzung in Deutschland – ähnlich wie angeblich in den Niederlanden – dazu führen könnte, dass kriminelle Clans diese Regelungen ausnutzen und sich ausbreiten würden. Ein überprüfbarer Nachweis wurde für diese Behauptung nicht erbracht.

Auf der anderen Seite wurde für die Liberalisierung eingeworfen, dass die Verfolgung der kleinen Konsumenten zu viele wertvolle kriminalpolizeiliche Ressourcen binden würde. Diese Ressourcen fehlen bei der Verfolung der Drahtzieher des großen Suchtgifthandels. Der gesellschaftliche Zugang zum Konsum habe sich auch gewandelt: Der Eigenkonsum sei eine "lässliche Sünde". Zudem werde bei Eigenkonsum die eigene Gesundheit geschädigt, was aber auch beim Rauchen oder Alkoholkonsum ab einem gewissen Alter jeder für sich entscheiden könne. Ein anwesender Oberstaatsanwalt liebäugelte mit der durchaus spannenden Idee, straffreie Konsumenten als Zeugen unter Wahrheitspflicht aussagen lassen zu können. Damit könnte man Hinweise auf die Verkäufer und Hintermänner bekommen, ohne dass sich Zeugen vor strafrechtlicher Verfolgung fürchten müssen.

Aus Sicht einer Richterin des Landesgerichtes für Strafsachen Graz sei das österreichische Suchtmittelrecht zielführender als das deutsche Modell, weil Studien die negativen Auswirkungen von Cannabis-Konsum belegen. Eine punktuelle Verbesserung sei aber sicher sinnvoll. Auch die Vereine kamen zu Wort, die Therapien für Suchtkranke anbieten: Hier fehle es vor allem an Personal und finanziellen Ressourcen. Die Therapie ist komplex und das Strafrecht dafür nur bedingt ein zweckmäßiger Rahmen. Zudem müsse das Angebot für Minderjährige verbessert werden, die jetzt schon – ganz ohne Liberalisierung – erheblichen Therapiebedarf haben.

Projekt Phönix – Training for Life

In einem spannenden Kurzvortrag wurde das Projekt Phönix – Training for Life vorgestellt. Ziel des Projektes ist die Förderung der Resozialisierung von Inhaftierten durch Sportausübung. Zwar gibt es in etlichen Haftanstalten Einrichtungen zur Sportausübung, nur können diese oft selten oder gar nicht genutzt werden, weil die Verletzungsgefahr zu hoch ist. Aufgrund der Personalnot im Strafvollzug würden verletzte Inhaftierte zu einem kaum zu bewältigenden Mehraufwand führen (Krankentransport etc). Daher wird erst gar kein Sport ausgeübt, um Verletzungen zu vermeiden.

Das Projekt Phönix soll das ändern, bedarf aber natürlich einer finanziellen Ausstattung. Im Jahr 2021 bekam das Projekt den Social Impact Award verliehen. Erste Pilotversuche haben trotz Covid-Pandemie zu einem sehr positiven Feedback bei den teilnehmenden Inhaftierten geführt, aber auch das bisherige Resumeé der Justizwache ist sehr positiv. Neben Fitness- und Teamübungen wird vor allem Basketball gespielt, weil dort das Verletzungsrisiko geringer ist als etwa bei Fußball. Das bestehende Angebot soll noch weiter ausgebaut werden. DER STANDARD hat bereits über das Projekt berichtet.

Verwertung von Beweisen aus Kryptohandys

Abschließend wurde noch ein heikles Thema diskutiert: Verwertung von Beweisen aus Kryptohandys (abhörsichere Mobiltelefone). Bei diesem Thema ging es nicht um die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zur Sicherstellung von Mobiltelefonen durch österreichische Strafverfolgungsbehörden. Ausländische Strafverfolgungsbehörden haben im Rahmen von Ermittlungshandlungen Daten erhalten und diese Daten den Kollegen aus Österreich zur Verfügung gestellt. Pikantes Detail: Die Daten wurden womöglich mit Methoden erhoben, die in Österreich illegal sind (nicht aber in der ausländischen Jurisdiktion). Beispielhaft wurden Server gehackt oder Backdoor Programme entwickelt und in kriminelle Bereiche eingeschleust. Zudem wurde das rechtliche Gehör nicht gewahrt. Die konkreten Ermittlungshandlungen werden oft nicht offen gelegt.

Die österreichischen Strafverfolgungsbehörden überprüfen diese Daten nunmehr auf strafbares Verhalten in Österreich. Laut offizieller Seite sollen die österreichischen Behörden an den Überwachungsmaßnahmen selbst nicht beteiligt gewesen sein – was aber kritisch hinterfragt wird.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob illegal erworbene Beweise in Österreich in einem Strafverfahren verwertet werden dürfen. Der Oberste Gerichtshof bestätigte, dass kein Verwertungsverbot vorliege. Allerdings hat der VfGH den heimliche Einsatz von Software zur Überwachung verschlüsselter Kommunikation für verfassungswidrige erklärt (Bundestrojaner). In Deutschland wurde ein Beweisverwertungsverbot durchaus judiziert, aber auch hier gibt es bereits divergierende Entscheidungen. Eine breitere Diskussion und eine gesetzliche Klarstellung wäre dringend geboten.

Forderungen des VÖStV

Die VÖStV gab auf Basis der Diskussion des Strafverteidiger:innentags auch Forderungen und Empfehlungen ab. So fordert die VÖStV eine fortgeführte Entkriminalisierung von Cannabis-Eigenkonsumenten, indem die Diversionsbestimmungen des Suchtmittelgesetzes (SMG) sowie auch die Möglichkeit von "Therapie statt Strafe" intensiviert und ausgebaut werden. Die Suchttherapie soll durch Schaffung einer eigenen Justizanstalt mit Schwerpunkt Suchtmitteltherapie verbessert werden. Eine undifferenzierte Legalisierung von Cannabis wird abgelehnt. Zudem wird die ersatzlose Streichung einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Sanktion des § 28a Abs 5 SMG gefordert (führende Tätigkeit beim Suchtgifthandel in einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen).

Die VÖStV erachtet die Forderung der Strafverfolgungsbehörden nach einer, dem Stand der Technik entsprechenden, Möglichkeit der (Quellen)-Telefonüberwachung auch auf für Ende-zu-Ende-verschlüsselte Nachrichten-Anbieter (WhatsApp, Signal, Threema, etc.) als grundsätzlich nachvollziehbar. Dennoch wird die Einführung eines Bundestrojaners mit umfassenden verdeckten (online) Überwachungs- und Durchsuchungsmöglichkeiten abgelehnt. Nachdem aber nur politische Forderungen, aber kein offizieller Vorschlag in technischer und (vor allem grund-)rechtlicher Hinsicht bekannt sind, ist eine kritische Diskussion nur schwer möglich. Im Hinblick auf die oben genannten "Verwertung von Beweisen aus Kryptohandys" fordert die VÖStV ein Verwertungsverbot für Beweisergebnisse ausländischer Ermittlungsbehörden, deren rechtsstaatliches Zustandekommen von Seiten des übermittelnden Staates nicht von Beginn an vollständig – mitsamt den Rohdaten – offengelegt wird. (Bernhard Campara-Kopeinig, 6.5.2024)