Wer sich für Klimaschutz einsetzt, lebt in vielen Ländern gefährlich.
EPA/MARTIN DIVISEK

Greta Thunberg muss am Mittwoch wieder vor Gericht. In Schweden wird ihr im Zuge eines Klimaprotests ziviler Ungehorsam und die Missachtung polizeilicher Anordnungen vorgeworfen. Im Fall eines Schuldspruchs bekommt die Galionsfigur der Klimaschutzbewegung wohl eine Geldstrafe, es wäre ihre dritte. Ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern fernab der Industriestaaten hingegen droht weit mehr. Viele von ihnen wurden bereits getötet, viele weitere bangen um ihr Leben. DER STANDARD gibt einen kleinen Überblick:

Afrika

Thokozile Nkosi, südafrikanische Klimaschützerin, erhält immer wieder Drohungen. Von staatlicher Seite erwartet sie da keine Unterstützung.
Thokozile Nkosi / X

Vor einigen Tagen bekam Thokozile Nkosi eine SMS. "Die Ermittlungen zu Ihrem Fall wurden eingestellt", teilte ihr die südafrikanische Polizei wortkarg mit. Die Klimaaktivistin hatte Anzeige gegen eine Gruppe Männer erstattet, die ihr Schläge angedroht hatten, wenn sie nicht ihren Widerstand gegen die Verschmutzungen einer Kohlemine in der südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal aufgebe. Nkosi entkam – unverletzt, aber schockiert.

Überrascht hat sie die Nachricht der Polizei nicht. Schließlich hatten sich die Ordnungshüter in der Vergangenheit schon geweigert, ihre Anzeigen überhaupt aufzunehmen. Seit Jahren erhält sie Drohungen. Mal direkt von Leuten, die, wie sie vermutet, mit lukrativen Zulieferaufträgen aufseiten des Bergwerks gezogen werden. Mal anonym, über Anrufe, Nachrichten.

Vor einigen Monaten wurde sie vom örtlichen Polizeichef in einem Einkaufszentrum angesprochen. "Warum lässt du das mit den Protesten nicht einfach sein?", fragte er sie. Es fühlte sich wie eine weitere Einschüchterung ein. "Solange ich atme, werde ich nicht aufhören", erwiderte Nkosi. Es gehe schließlich nicht um sie, sondern um die Zukunft der Kinder.

Morde werden kaum aufgeklärt

Von staatlicher Seite erwartet Nkosi (32) generell wenig Unterstützung. Südafrikas Energieversorgung hängt zu 80 Prozent von Kohle ab, und die Bergbauindustrie ist eng mit den Eliten um Südafrikas Regierungspartei ANC verbandelt. In den vergangenen Jahren gab es dutzende Morde an Aktivisten im Umfeld von geplanten oder existierenden Bergwerken. Allzu oft in der Kohleindustrie. Nur wenige wurden aufgeklärt.

Nicht nur in Südafrika wehren sich Umwelt- und Klimaschützer des Kontinents immer lautstärker gegen Verschmutzungen und Klimawandel. So steigen in der Sahelzone die Temperaturen eineinhalbmal schneller als im globalen Durchschnitt. Immer mehr Menschen in Afrika sind von der Ausweitung der Wüsten und Extremwetter betroffen, wie etwa Dürren, Stürmen und Überschwemmungen. Über 15.000 Menschen kamen dabei im Jahr 2023 ums Leben, Tendenz steigend.

Die Aufmerksamkeit einer Greta Thunberg erreichen die Aktivisten, die diese Entwicklung aufhalten wollen, nicht. Nie wurde das deutlicher als im Jänner 2020 in Davos, als die ugandische Aktivistin Vanessa Nakate (27) von der Nachrichtenagentur AP aus einem Gruppenfoto mit Thunberg und anderen europäischen Umweltschützerinnen geschnitten wurde – "aus ausschließlich bildkompositorischen Gründen", versuchte die Agentur in einer kleinlauten Entschuldigung den Vorwurf des Rassismus zu entschärfen.

Gesetze verschärft

Der Vorfall von Davos war auch deshalb verheerend, weil Aktivistinnen wie Nakate weit mehr als Thunberg auf internationale Unterstützung angewiesen sind, um überhaupt gehört zu werden. In Uganda verschärfte der zunehmend autokratisch regierende Präsident Yoweri Museveni jüngst die Gesetze für öffentliche Versammlungen und Bürgerrechtsorganisationen, entzog Dutzenden die Lizenz – wohl nicht zuletzt wegen zahlreicher Proteste gegen den Bau der Ostafrikanischen Ölpipeline "EACOP" von Uganda nach Tansania, die mit 1443 Kilometern Länge nach ihrer Fertigstellung die längste beheizte Pipeline der Welt sein wird.

Der nigerianische Umweltschutzveteran und Träger des Alternativen Nobelpreises, Nnimmo Bassey (65) erkennt einen "neuen Schwung" in dem Widerstand junger Aktivisten auf dem Kontinent. Und zwar nicht nur bei Ermahnungen in Richtung der Industrienationen außerhalb Afrikas, die bekanntlich überwiegend für den Anstieg der Temperaturen verantwortlich sind, sondern auch auf dem Kontinent selbst, wo vielerorts gerade die Weichen für die Energieversorgung der kommenden Jahrzehnte gestellt werden: "Afrika steuert eindeutig auf der Fahrbahn der fossilen Brennstoffe", so Bassey.

"Jeder zahlt einen Preis"

Bassey selbst wurde während der 1990er-Jahre wegen seiner Proteste gegen die Verschmutzungen der Ölindustrie von der damaligen Militärregierung verhaftet. Das passiere seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1999 nur selten, sagt der Umweltschützer. Aber die Aktivisten in Gebieten wie den ölgetränkten Sümpfen von Ogoniland seien anderen Gefahren ausgesetzt: Milizen, Verbrechern, dem Verlust ihrer Lebensgrundlage durch Wasserverschmutzung und Küstenerosion. Und der Untätigkeit der Politiker, die teilweise von den Plünderungen profitieren. "Jeder, der dort lebt, zahlt einen Preis", sagt Bassey.

Aber auf der anderen Seite habe inzwischen auch fast jeder eine Stimme. Seit auch in derart abgelegenen Regionen Smartphones und Internet weit verbreitet sind, bedarf es nicht mehr zwingend der Reports von prominenten Umweltschützern, um das Versagen korrupter Behörden im Kampf gegen Verschmutzungen zu dokumentieren. "Es sind inzwischen überwiegend die Videos der Communitys, die neue Ölkatastrophen aufdecken", sagt Bassey. "Das macht es für die Regierung schwieriger, diese Vorfälle unter den Teppich zu kehren."

Süd- und Zentralasien

Anya Sengdra ist wie viele andere irgendwo in Tibet inhaftiert. Wo genau, das ist nicht bekannt.
Radio Free Asia

Anya Sengdra ist als Nomade in Nordtibet aufgewachsen. Jahrelang hat er auf illegalen Bergbau und Wilderei in seiner Heimat aufmerksam gemacht. Im Herbst 2018 wurde er schließlich verhaftet. Nun sitzt er eine siebenjährige Haftstrafe ab – wo genau ist nicht bekannt. Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass er gefoltert wurde. Der Grund für die Festnahme: Er habe eine Gruppe formiert, um die "soziale Ruhe zu stören".

Das Dach der Welt, der dritte Pol, der Wasserturm Asiens: Tibet nimmt in Asien eine Schlüsselrolle in Sachen Klima ein. Etliche der größten Flüsse des Kontinents entspringen auf dem Hochplateau, zwei Milliarden Menschen sind von deren Wasser abhängig. Gleichzeitig ist Tibet streng kontrolliert. Die chinesische Regierung duldet dort so gut wie keine Kritik oder Proteste. Trotzdem bringt der umstrittene Bau von Staudämmen, Bergminen oder Zugstrecken durch das fragile Ökosystem immer wieder mutige Aktivisten aufs Tapet. "International Campaign for Tibet" hat im vergangenen Jahr 50 Klimaaktivisten gezählt, die seit 2008 inhaftiert wurden – und zwischen 21 Monaten und 21 Jahren Haft absitzen.

Umwelt und Politik überlappen

Doch auch beim demokratischen Nachbarn im Süden, Indien, werden Umweltaktivisten verfolgt. So musste etwa die dortige Gründerin von Fridays for Future, Disha Ravi, die Härte des Staates am eigenen Leib spüren. Im Vergleich zu China sind die Maßnahmen harmlos: Ein paar Tage war sie inhaftiert, nachdem ihr "Anstiftung zur Aufruhr" vorgeworfen wurde. Denn sie engagierte sich bei den Bauernprotesten von 2021, der bis dato größten Protestbewegung gegen die BJP-Regierung. Es zeigt ein allgemeines Muster auf: Wenn Umweltproteste sich mit anderen politischen Anliegen überlappen, dann kann es eng werden.

Auch in Bangladesch, das von Klimawandel besonders betroffen ist, können sich Aktivistinnen nicht ungehindert Gehör verschaffen, wie etwa der Fall von Shahnewaz Chowdhury zeigt. Dieser wird seit Jahren verfolgt, weil er auf Umweltzerstörung und Klimawandelfolgen aufmerksam macht.

Südostasien

2023 wurde Hoang Thi Minh Hong in Vietnam festgenommen, nachdem sie jahrelang gegen Kohlekraftwerke protestiert hatte.
AFP/Hoang Vinh Nam/HANDOUT

Ende Februar diesen Jahres traf es einen der bekanntesten Aktivisten des Landes, Nguyen Chi Tuyen, auch bekannt als Anh Chi. Der vietnamesische Umweltaktivist war bekannt dafür, dass er lautstark Hilfe für Opfer klimabedingter Katastrophen wie Überschwemmungen forderte. Im aktuellen Fall wurde er wegen "Verbreitung staatsfeindlicher Informationen" festgenommen. Mit seiner Kritik am Einfluss Chinas in dem Land überspannte er scheinbar den Bogen der Geduld des autoritären Staats.

Der Umweltaktivist war damit nicht der erste im Land: Bereits im vergangenen Jahr wurde Hoang Thi Minh Hong festgenommen, nachdem sie jahrelang gegen Kohlekraftwerke aktiv war. Ihr werden Steuervergehen vorgeworfen – genauso wie zuvor vier anderen Aktivistinnen. Kritiker orten eine größere Kampagne, um derartige Bewegungen an den Wurzeln zu zerschlagen. Die Verfolgung ist gerade im Falle Vietnams besonders pikant: Das Land erhielt internationale Gelder von über 15,5 Milliarden US-Dollar für Klimaprogramme. Hong erhielt im September eine dreijährige Haftstrafe.

Gewalt durch Staat und Clans

Im von einer brutalen Militärjunta regierten Myanmar sind die Möglichkeiten von Umweltaktivisten, gegen die Ausbeutung der Umwelt protestieren, seit dem Putsch 2021 so gut wie verschwunden. Aber auch im benachbarten Thailand, das zwischen Militärregierung und Demokratie hin- und herschwankt, kann Klima-Aktivismus gefährlich werden: Zuletzt ging die thailändische Polizei wenig zimperlich mit Protestierenden um und setzte Tränengas, Schlagstöcke oder Wasserwerfer ein. Payu Boonsophon etwa verlor durch ein Gummigeschoß der Polizei ein Auge.

In dem Land geht aber auch von Gangs und lokalen Clans Gefahr aus. Seit den 1980ern sind laut Uno mindestens 90 Aktivisten verschwunden, die etwa auf illegale Abholzung aufmerksam gemacht haben. Andere, wie Chai Bunthonglek, wurden aufgrund ihres Engagements gegen Palmölplantagen gar ermordet.

Lateinamerika

Alessandra Korap hat schon mehrere Morddrohungen erhalten.
AP

Morddrohungen hat sie immer wieder erhalten, sogar in ihr Haus wurde eingebrochen, sodass sie und ihre Familie zwischenzeitlich bei Freunden unterschlüpfen mussten: Alessandra Korap ist nicht nur eines der bekanntesten Gesichter der Klimaschutzbewegung in Lateinamerika, ihr zeitweise gefährliches Leben steht auch sinnbildlich für ihre dortigen Mitstreiter und Mitstreiterinnen.

Laut einem Bericht der NGO Global Witness vom September 2023 sind im Jahr zuvor weltweit 177 Naturschützer und Naturschützerinnen getötet worden. 88 Prozent davon haben sich in Lateinamerika ereignet. An der traurigen Spitze befindet sich Kolumbien mit 60 Todesfällen, gefolgt von Brasilien mit 34. Global Witness zufolge leben vor allem jene gefährlich, die sich gegen Agrarindustrie, Bergbau und Holzfäller einsetzen – in Lateinamerika betrifft das vor allem die Amazonas-Region.

Auftritt vor dem Brandenburger Tor

Dort kämpft Korap als indigene Anführerin der Munduruku dagegen, dass das Territorium ihres Volkes in Brasilien durch Bergbau und Staudämme zerstört wird. Ihr Engagement machte sie weltweit bekannt, 2019 sprach sie vor dem Brandenburger Tor im Rahmen einer riesigen Klimaschutz-Demo, später erhielt sie mit dem Robert F. Kennedy Human Rights Award und dem Goldman Environmental Prize zwei international renommierte Preise.

Ebenfalls hochdekoriert ist Nemonte Nenquimo von den Waorani in Ecuador. Mit einer erfolgreichen Klage gegen die ecuadorianische Regierung verhinderte sie, dass das Land ihres indigenen Volkes im Amazonas-Gebiet an Ölfirmen verkauft wurde. Auch sie hat den Goldman Environmental Prize erhalten, dazu den Champions of the Earth Award. 2020 wurde sie vom Time Magazine zu einer der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten gekürt, heuer wurde ihr der Time Earth Award zugesprochen.

Enttäuschender Amazonas-Gipfel

All diese Ehrungen verhindern aber nicht, dass ihr gemeinsames Ziel, die Rettung des größten Regenwalds der Erde, immer schwieriger wird. Ein vom brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva initiierter Amazonas-Gipfel im vergangenen August endete für Umweltschützer und Indigenen-Vertreterinnen enttäuschend, ohne konkreten Fahrplan und verpflichtende Maßnahmen. (Anna Sawerthal, Christian Putsch aus Kapstadt, Kim Son Hoang, 7.5.2024)