Omri Boehm
Omri Boehms "Rede an Europa" machte schon Schlagzeilen, bevor er sie noch hielt.
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Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch, hat scharfe Kritik an der Einladung des israelisch-deutschen Philosophen jüdischer Herkunft, Omri Boehm, durch die Wiener Festwochen geübt. Boehm wurde, auch unter Mitwirkung des Instituts für die Wissenschaft vom Menschen, eingeladen, eine Rede über Europa auf dem Wiener Judenplatz zu halten. Das nennt Deutsch "einen Weg für den Antisemitismus bereiten". Der frühere Präsident der IKG, Ariel Muzicant, sagte sogar, er würde bei dem Vortrag Eier werfen, wenn er 30 Jahre jünger wäre. Karoline Edtstadler, in der ÖVP zuständig für Antisemitismusbekämpfung, stimmte auch irgendwie ein.

Schwere Geschütze. Was ist so dramatisch an Boehm? Er tritt für eine "Konföderation" aus Israelis und Palästinensern ein. Er hält nichts von der Zweistaatenlösung – Israel und ein palästinensischer Staat –, sie sei unrealistisch. Er hält noch viel weniger vom gegenwärtigen Zustand, demzufolge Israel seit 1967 die Palästinenser im Westjordanland unter Besatzung hält (und einen Krieg in Gaza führt, der das Gebiet, so Boehm, "unbewohnbar" macht).

Was Boehm zumindest in den Augen von Deutsch, Muzicant und anderen so verwerflich macht, ist, die Gründungsphilosophie des Staates Israel radikal infrage zu stellen: Israel als dezidierter, exklusiver Staat der Juden.

Chance auf Frieden

Vor einigen Jahren hat Netanjahus Regierung diesen Status in einem eigenen Gesetz noch einmal festhalten lassen. Und Premier Benjamin Netanjahu fügte hinzu, die israelischen Staatsbürger arabischer Herkunft, immerhin 19 Prozent, hätten zwar dieselben Rechte, aber es sei trotzdem nicht ihr Staat.

Boehm hingegen geht davon aus, dass auf Dauer nur ein gemeinsamer Staat – eine Konföderation – mit gleichen Rechten für Israelis, Palästinensern und anderen Minderheiten eine Chance auf Frieden bietet. Das Staatsgebiet würde dann das heutige Israel, das Westjordanland und Gaza umfassen. Er nennt das in einem 2020 erschienenen Buch Israel – eine Utopie.

Das trifft das israelische Selbstverständnis ins Herz. Aber Boehm (und andere) haben ein Argument: Was ist die Lösung des offiziellen Israel? Wie soll es weitergehen? Das Westjordanland ist seit 1967 besetzt, die Palästinenser Bürger zweiter Klasse. Inzwischen gibt es 700.000 jüdische Siedler im Westjordanland, zum Teil überaus aggressiv und auf Landnahme aus. In Gaza tobt ein Krieg, der die bisherigen Erfolge bei der Normalisierung mit anderen arabischen Staaten ernsthaft bedroht. Tatsächlich erscheint eine Zweistaatenlösung angesichts der israelischen Siedler sehr fraglich: Wie soll ein palästinensischer Staat mit ihnen leben? Es wächst eine weitere junge Generation ohne Perspektive, aber mit Hass heran.

Verfahrene Situation

Boehm sagte in einer Pressekonferenz in Wien, die "Idee, die Situation unter Kontrolle zu halten", wie es Netanjahu vorgibt zu tun, sei "ein Mythos". Er selbst glaube "tief daran, dass es einen jüdischen Heimatstaat geben muss", aber wenn die Besatzungspolitik so weitergehe, sei die "liberale Demokratie in Israel selbst in Gefahr".

Ob und wie die "Utopie" einer israelisch-palästinensischen Konföderation funktionieren kann, ist tatsächlich eine Frage einer Utopie. Aber Boehm versucht wenigstens, einen Ausweg aus der jetzigen, völlig in Terror, Terrorbekämpfung und Krieg verfahrenen Situation aufzuzeigen. Boehm zieht einen Vergleich heran: Auch Europa sei erst zu einer neuen Zukunft gekommen, als man die alte Idee der totalen, auf dem Nationalstaat basierenden Souveränität aufgegeben und die EU gegründet habe. (Hans Rauscher, 7.5.2024)