Tödliche Arbeitsunfälle sind in Italien so alltäglich, dass sie nur noch selten Aufsehen erregen. Doch das Drama, das sich am Montag in einem Vorort der sizilianischen Hauptstadt Palermo abspielte, bestürzte das ganz Land. Fünf Arbeiter, darunter ein 28-jähriger Familienvater mit zwei Kindern, erstickten bei Wartungsarbeiten im Abwassersystem von Casteldaccia. Ein weiterer Arbeiter fiel ins Koma. Sie waren ohne jegliche Schutzausrüstung – und insbesondere ohne Atemmaske – zu einem Speicherbecken hinabgestiegen und hatten Schwefelwasserstoff eingeatmet, der sich offenbar in der Luft über dem Becken angesammelt hatte. Schwefelwasserstoff ist ein hochgiftiges Gas, das in wenigen Sekunden zum Verlust des Bewusstseins und zum Tod führen kann, wenn es in hoher Konzentration eingeatmet wird.

Fünf Menschenleben forderten offenbar inkompetent durchgeführte Arbeiten am Kanalsystem von Casteldaccia bei Palermo.
AP/Alberto Lo Bianco

Erschütternd war nicht nur die Opferbilanz, sondern auch der Ablauf des tödlichen Dramas. Laut ersten Erkenntnissen war zunächst nur ein Arbeiter in das Becken hinuntergestiegen. Als er nicht mehr auf Zurufe reagierte, stieg der nächste zu ihm hinab ins Dunkel, um nachzusehen und ihm, wenn nötig, zu helfen. Als auch der zweite Arbeiter nicht mehr reagierte, stiegt der dritte hinunter – ebenfalls in der Absicht, die Kameraden zu retten.

So ging es weiter, bis schließlich der siebte Arbeiter Angst bekam und die Rettungsmannschaften alarmierte. Spezialisten der Feuerwehr bargen in der Folge die fünf toten und den einen bewusstlosen Arbeiter. Die Konzentration des Schwefelwasserstoffs sei um das Zehnfache über dem Grenzwert gelegen, betonte der Einsatzleiter der Feuerwehr, Girolamo Bentivoglio. Und: "Hätten sie Schutzmasken getragen, würden wir jetzt nicht die Toten zählen."

Erschreckende Bilanz

Vor dem Unfall in Casteldaccia bei waren in diesem Jahr bereits weitere 191 Menschen bei Arbeitsunfällen ums Leben gekommen; im Jahr 2023 waren es insgesamt 1024 gewesen, also durchschnittlich drei pro Tag. Der letzte schlimme Unfall hatte sich erst vor einem Monat ereignet: In einem Pumpspeicherkraftwerk hatte sich bei Revisionsarbeiten unter dem Wasserspiegel eine Explosion ereignet; danach kam es zu einem Wassereinbruch. Sieben Facharbeiter ertranken. Landesweite Betroffenheit hatte auch ein Unfall auf der Zugstrecke von Mailand nach Turin ausgelöst: Fünf Gleisarbeiter wurden im August 2023 von einem Schnellzug überrollt, weil der Streckenverantwortliche es verabsäumt hatte, die Arbeiter vor dem herannahenden Zug zu warnen.

Wie alle größeren Arbeitsunfälle hat auch der Tod der Arbeiter in Sizilien politische Reaktionen ausgelöst. Staatspräsident Sergio Mattarella sprach von einem "inakzeptablen Massentod" und forderte eine "gemeinsame Anstrengung, um solche Tragödien künftig zu verhindern". Regierungschefin Giorgia Meloni wiederum kondolierte den Angehörigen und versprach, dass über die Unfallursachen Klarheit geschaffen werde. Doch insgesamt wirken die Behörden und Institutionen jedes Mal hilflos und überfordert. Zwar haben frühere Regierungen und auch die Rechtsregierung von Meloni Gesetze erlassen, mit denen die Arbeitssicherheit erhöht werden sollte – aber die Zahl der Toten konnte in den vergangenen Jahren nicht gesenkt werden.

Laut den Gewerkschaften besteht das Hauptproblem bei den Arbeitsunfällen darin, dass große Unternehmen und auch die öffentliche Hand immer häufiger Arbeiten an private Dritte vergeben, die dann Einzelaufträge an weitere Subunternehmen vergeben. Bei jeder dieser Subvergaben werde der Preis gedrückt, am Ende würden die Arbeiten von Firmen ausgeführt, die weder über geschultes Personal noch über ausreichende Kenntnisse der Sicherheitsbestimmungen verfügten.

Das scheint auch beim Unfall bei Palermo so gewesen zu sein: Nach ersten Erkenntnissen der Ermittler hatte die Stadtregierung den Auftrag für die Wartung der Kanalisation an eine Privatfirma vergeben, deren Angestellte zumindest teilweise nicht über die nötigen Berufskenntnisse verfügten. (Dominik Straub aus Rom, 7.5.2024)